Gustav Meyrink

Die Liste berühmter und einflussreicher okkulter und esoterischer Schriftsteller wäre nicht vollständig ohne die Erwähnung von Gustav Meyrink (1868-1932). Meyrink, der schriftstellernde uneheliche Sohn einer Schauspielerin und eines Fürsten, war und ist ohne Zweifel einer der bekanntesten sogenannten „phantastischen“ Autoren – doch das bedeutet nicht, dass seine Werke fantastisch waren (wenngleich seine Fans das behaupten), sondern, dass sein Werk gattungstypisch in die sogenannte Phantastik als eine literarische Gattung fällt. Sogenannte phantastische Literatur changiert zwischen Religion, Philosophie, Okkultismus, Science Fiction und Fantasy – vielen Bereichen, die Meyrinks schillerndes Werk spielend abdeckt, ohne einem einzelnen Bereich exklusiv zuzuordnen zu sein.
Meyrink befasste sich praktisch zeitlebens mit dem Übersinnlichen und Okkulten und lies seine begeisterte Leserschaft durch seine Romane an seinen vorläufigen Erkenntnissen teilhaben. Seine berühmten Romane „Der Golem“, „Der weiße Dominikaner“, „Walpurgisnacht“, „Der Engel vom westlichen Fenster“ und viele andere beziehen sich auf zentrale Fragen aus der mittelalterlichen Geheimwissenschaft Alchemie, aus der Magie und der Kabbalah, wie zum Beispiel der Frage nach der Erschaffung künstlicher Menschen oder der Gewinnung des ewigen Lebens, oder ob es Geisterspuk und Dämonen überhaupt gibt und wo die Grenzlinie zu ziehen sei zwischen sogenannten natürlichen und paranormalen Phänomenen. Der Autor Meyrink, der im bürgerlichen Beruf ein Bankier war, bewahrte sich in seinen Romanen eine Zwischenstellung zwischen einem Kenner der esoterischen Materie und einem kühlen Skeptiker. Diese persönliche Zwischenstellung zwischen zwei Welten, okkult und diesseitig, war es auch, die ihn bei einem breiten Lesepublikum so beliebt machte. Hinzu kam, dass Meyrink über großen Wortwitz verfügte und gern spöttische Satiren auf die damalige kaiserzeitliche Gesellschaft mit ihrer heuchlerischen Moral verfasste, die beim Publikum für große Erheiterung sorgten und auch heute noch als ein amüsanter Sittenspiegel ihrer Zeit gelesen werden können. Satirische Werke aus der Feder Meyrinks wie die heitere Kurzgeschichten-Sammlung „Des deutschen Spießers Wunderhorn“ (1913) karikieren den Wunderglauben frömmlerischer Extremisten und religiöser Hardliner ebenso wie den Kadavergehorsam des Militärs und die bornierte Habsucht des Bürgertums und können als zeitlos gültige Verspottung des – nicht nur deutschen – Spießers gelten.
In der Zeit zwischen dem Ende des 19. und dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts waren die Informationsmöglichkeiten über Esoterik und Okkultismus recht beschränkt, zumindest im Vergleich zu heute. Meyrink konnte sich zu seiner eigenen Information über die von ihm gesuchten Inhalte hauptsächlich der Quellen aus der Theosophie von Helena Petrovna Blavatsky bedienen, die er jedoch sehr kritisch sah und von der er später Abstand nahm. Ferner befasste er sich als sogenannter Autodidakt (im Eigenstudium) mit den hinduistischen und buddhistischen Klassikern wie der Bhagavad-Gita und den Lehren des Buddha, er kannte sich jedoch auch mit geheimgesellschaftlichen Bewegungen der Rosenkreuzer aus und studierte die Werke des Mystikers Jakob Böhme. Sehr intensiv war seine Beschäftigung mit dem Yoga, das er nicht als sportliche Betätigung verstand, sondern als Geheimlehre, wie Erkenntnis höherer Welt zu erlangen sei. Meyrink befasst sich insbesondere in seinen Werken „Fledermäuse“ und „Die Verwandlung des Blutes“ mit der Frage, ob Geist, Seele und Körper eines Menschen durch das regelmäßige Praktizieren von Yoga tatsächlich, nachweislich umgestaltet werden könnten. Er war hierbei der Auffassung, dass die yogistische Lehre sehr viel tiefer ginge als alle westliche Philosophie, indem er argumentiert, Immanuel Kant habe sich selbst nicht von einem Schnupfen kurieren können, während Meister des Yogas mitunter sogar in der Lage seien, sich lebendig begraben zu lassen oder über glühende Kohlen zu gehen. Das indische Fakir-Wesen mit seinen Kunststücken hatte es Meyrink eine Zeit lang angetan, bis er erkannte, dass es sich hier meist um Zurschaustellungen von Spielerei handelte und nicht um echtes Erweckungswissen. Meyrink blieb zeitlebens ein Suchender – allerdings einer, der aufgrund seiner Lebenstüchtigkeit von Vielen beneidet wurde. Sein literarisches Werk ist bis heute in allen esoterischen Kreisen wohlbekannt und stellt für viele Neu-Leser einen ersten Einstieg in die faszinierende Welt des Okkulten dar.


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